Warum Hilfsbereitschaft dem Selbstbewusstsein schaden kann

In diesem Gastbeitrag zeigt Moritz Bauer (mehr über den Autor am Ende des Beitrags) auf, dass Hilfsbereitschaft das eigene Selbstbewusstsein beeinträchtigen kann. Moritz Bauer schreibt:

Hilfsbereitschaft ist eine Tugend. Schon als Kind wird uns beigebracht, dass es wichtig ist, anderen zu helfen.

Und gerade in einer Zeit, in der die Gesellschaft (gefühlt) immer egoistischer und rücksichtsloser wird und jeder nur noch auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, wünschen sich viele wieder mehr „Füreinander statt Gegeneinander“.

Aber Hilfsbereitschaft kann sich unter Umständen sehr negativ, ja sogar schädlich auf das Selbstbewusstsein auswirken. Und zwar nicht nur auf das des Helfenden, sondern auch auf sein Gegenüber.

Warum das so ist und worauf Sie achten sollten, bevor Sie jemandem helfen, erkläre ich Ihnen nun.

Was bedeutet eigentlich Selbstbewusstsein?

Um zu verstehen, weshalb Hilfsbereitschaft negativ auf das Selbstbewusstsein wirken kann, lassen Sie mich diesen Begriff zunächst kurz erklären:

Selbst-bewusst-sein bedeutet, sich „seiner selbst bewusst zu sein“ – also zu wissen, wer man ist, welche Eigenschaften, Fähigkeiten, Stärken und Schwächen man hat, aber auch welche Wünsche und Bedürfnisse. Es bedeutet, sich selbst zu akzeptieren und auch für sich einzustehen. Vor allem, wenn es darum geht, die eigenen Bedürfnisse durchzusetzen.

Das Selbstbewusstsein ist auch eng mit den Begriffen Selbstvertrauen (ich traue mir etwas zu) und Selbstwertgefühl (ich kenne meinen „Wert“) verbunden.

Selbstbewusstsein ist nicht angeboren und entsteht auch nicht durch äußere Dinge wie Erfolg, gutes Aussehen oder viel Geld. Es entsteht in unserem Inneren.

Den größten Einfluss auf unser Selbstbewusstsein haben unsere Eltern – darauf komme ich später noch einmal zurück. Aber auch wir selbst können im Laufe unseres Lebens viel für unsere innere Stärke tun … oder eben auch dagegen.

Welchen Einfluss nun speziell das Thema Hilfsbereitschaft auf das Selbstbewusstsein haben kann, zeige ich Ihnen im Folgenden.

Wann ist Hilfsbereitschaft schädlich? 3 Aspekte

Hilfsbereitschaft wird normalerweise als positiv und wünschenswert betrachtet. Im Grunde stimmt das auch, es gibt jedoch drei Aspekte, die Sie dabei beachten sollten:

1. Die Wünsche der anderen erfüllen

Sie kennen das bestimmt:

Eine Kollegin bittet Sie, ihr ein bisschen Arbeit abzunehmen, weil sie ganz dringend zu einem privaten Termin muss. Sie sagen „Ja“, obwohl Sie eigentlich selbst gerade Feierabend machen wollten. Aber man hilft ja gerne …

Oder Sie verbringen das Wochenende damit, einem Freund beim Umzug zu helfen, während Ihre eigenen Vorhaben solange warten müssen. Auch das tut man ja im Grunde gerne.

Problematisch wird es dann, wenn Sie solche Hilfsanfragen ständig annehmen und dabei Ihre eigenen Bedürfnisse immer hinten anstellen. Dann entsteht das Gefühl, nur noch für andere da zu sein und nie gefragt zu werden, was man eigentlich selbst gerne möchte. Die eigenen Wünsche und Bedürfnisse kommen zu kurz. Darunter leidet langfristig Ihr Selbstwertgefühl.

Mein Tipp:

Achten Sie auf Ihre Gefühle! Helfen Sie nur, wenn Sie es gerne tun und es Ihnen guttut. Würden Sie jedoch eigentlich lieber „Nein“ sagen, dann tun Sie das auch.

Es stärkt Ihr Selbstbewusstsein, wenn Sie zu Ihren Wünschen und Bedürfnissen stehen. Andernfalls entsteht Frust und oftmals ärgern Sie sich dann auch noch über den anderen. Damit tun Sie sich beiden keinen Gefallen!

Ein Nein, um Ihre Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen …

2. Ungefragte Hilfsbereitschaft

Es gibt auch Menschen, die helfen stets und ständig, ohne darum gebeten worden zu sein. Ihr Motiv ist in der Regel der Wunsch nach Anerkennung und Dankbarkeit.

Oftmals sind sie dann auch noch zutiefst enttäuscht, wenn der erhoffte Dank ausbleibt.

Dieses Verhalten entsteht aus einem sehr geringen Selbstwertgefühl: Der eigene Wert wird darüber definiert, wie viel man für andere tut und wie viel Anerkennung man dafür bekommt. Bekannt ist das Ganze als sogenanntes „Helfersyndrom“.

Das Problem daran: Das eigene Selbstbewusstsein wird nach und nach immer schwächer, da man es von anderen Personen abhängig macht. Man MUSS dann helfen, um sich nützlich und wertvoll zu fühlen. Eigene Wünsche und Bedürfnisse bleiben völlig auf der Strecke.

Hinzu kommt, dass die anderen oftmals gar nicht möchten, dass ihnen geholfen wird. Statt des erhofften Dankes bekommen die ungebetenen Helfer dann auch noch Ablehnung zu spüren – ein weiterer Rückschlag für das Selbstbewusstsein.

Mein Tipp:

Sollten Sie ständig den Drang verspüren, anderen helfen zu wollen, hinterfragen Sie Ihre Motive! Fühlen Sie sich nutzlos, wenn Sie eine Zeit lang niemandem helfen? Welche Erwartungen haben Sie an die Reaktion Ihres Gegenübers?

Fragen Sie sich, ob Sie auch dann aus vollem Herzen helfen würden, wenn Sie bereits vorher ganz genau wüssten, dass Sie keinen Dank dafür bekommen werden.

Und helfen Sie nie ungefragt, beziehungsweise erkundigen Sie sich vorher, ob Ihre Hilfe gewünscht ist. Beachten Sie dazu auch den nächsten Punkt.

3. Unnötige Hilfsbereitschaft (vor allem gegenüber Kindern)

Ich erwähnte es bereits: Das Selbstbewusstsein entwickelt sich vorrangig in der Kindheit.

In den ersten Lebensjahren lernen wir durch Erfahrungen (und auch durch Fehler, die wir machen), welche Stärken und Fähigkeiten wir haben. Zusätzlich zeigen uns die Reaktionen unserer Umwelt, insbesondere natürlich die unserer Eltern, welche Wirkung wir auf andere haben. Daraus entwickelt sich das Selbst-bewusst-sein.

Wird nun also einem Kind zu viel geholfen und abgenommen, vermittelt man ihm das Gefühl, nutzlos und unfähig zu sein. Die Eltern meinen es nur gut, bei dem Kind jedoch kommt an: „Du kannst das nicht.“ Auf diese Weise kann sich kein Selbstvertrauen und kein starkes Selbstbewusstsein entwickeln. Das Kind wird sich auch später im Leben nichts zutrauen.

Ein ähnliches Phänomen zeigt sich übrigens bei älteren Menschen. Es ist erwiesen, dass Senioren ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten schneller abbauen, je mehr ihnen geholfen und abgenommen wird (zum Beispiel in Pflegeheimen). Wer hingegen bis ins hohe Alter auf sich gestellt ist, bleibt oftmals viel länger fit.

Mein Tipp:

Üben Sie sich in punkto Hilfsbereitschaft (vor allem gegenüber Kindern und älteren Menschen) in Zurückhaltung.

Je mehr Vertrauen Sie in das Können und die Fähigkeiten anderer Menschen haben, umso mehr stärken Sie deren Selbstvertrauen. Überlegen Sie immer, ob der andere das auch alleine schaffen kann.

Lassen Sie vor allem Kinder ihre eigenen Fehler machen (ohne sie dafür zu kritisieren). Nur so werden sie sich auch später trauen, Neues anzuprobieren.

Letztendlich kennen wir doch alle die extrem positive Wirkung auf unser Selbstbewusstsein, wenn wir etwas ganz alleine hingekriegt haben.

Fazit

Ja, Hilfsbereitschaft ist eine Tugend. Aber nur, solange sie Ihnen und Ihrem Gegenüber guttut. Bevor Sie das nächste Mal jemandem helfen, stellen Sie sich also folgende drei Fragen:

  1. Helfe ich gerne und mit einem guten Gefühl?
  2. Welche Erwartungen habe ich, wenn ich helfe?
  3. Braucht der andere überhaupt meine Hilfe?

Und denken Sie immer daran, dass es manchmal hilfreicher sein kann, NICHT zu helfen – zumindest für das eigene Selbstbewusstsein!

Über den Autor:

Moritz Bauer ist digitaler Unternehmer und betreibt Deutschlands größte Seite zum Thema Selbstbewusstsein. In seinem Buch sowie zahlreichen kostenlosen Blog-Artikeln beschreibt er, wie er selbst zu innerer Stärke und Zufriedenheit gefunden hat.

Achtsamkeit, Entspannung und positives Denken sind dabei schon immer ein wichtiger Bestandteil in Moritz Leben, was sich auch in vielen seiner Online-Kurse wiederfindet.

Sein Ziel ist es, Menschen zu helfen, ihre Ängste und negativen Gedanken zu überwinden und sich ihrer Stärken bewusst zu werden, um ein glückliches und erfülltes Leben zu führen.

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Kommentare

  • Roland

    Guter Artikel und besonders der Punkt “Ungefragte Hilfsbereitschaft” gefällt mir besonders gut.

    Werde ich mal in mein tägliches Leben integrieren.